BIOPOLITIKEN
KONFLIKTE UM BIOPROSPEKTION UND INDIGENES WISSEN

ULRICH BRAND

‹Globale Umweltprobleme› werden meist dahingehend interpretiert, dass die ‹Tragekapazität› der Natur überlastet sei. Das ist politisch folgenreich. Denn mit solchen Perspektiven werden Macht- und Verteilungsfragen kaum mehr gestellt. Es geht um ‹den Planeten› und um ‹die Menschheit›, die gerettet werden müssen. Die vermeintlich objektive Grenze menschlichen Handelns ist der ‹Umweltraum›, der nicht überschritten werden darf. Am besten sollen diese Grenzen mit avancierter Technologie und ‹Effizienzrevolutionen› unter Beibehaltung der bestehenden weltwirtschaftlichen und politischen Strukturen eingehalten werden. Am deutlichsten drückt sich diese Sichtweise im Begriff der ‹nachhaltigen Entwicklung› aus, der in den vergangenen Jahren jeglichen kritischen Bezuges auf ökonomische und politische Machtfragen und gerade auf das Nord-Süd-Verhältnis entkleidet wurde. Konkrete Konflikte um die Aneignung von Natur drohen aus dieser Perspektive zu verschwinden. So etwa die Konflikte um genetische Ressourcen und ‹traditionelles› Wissens, im Umgang mit ihnen sowie die Auseinandersetzungen um die kapitalistische Verwertung dieser Ressourcen im Rahmen des sich herausbildenden High-Tech-Kapitalismus.

Mit der gegenwärtigen neoliberalen Globalisierung werden gesellschaftliche Verhältnisse tiefgreifend transformiert. Institutionen wie Staat und Unternehmen richten sich anders aus, nämlich am Dogma ökonomischer Effizienz und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Aspekte wie Verteilung oder gesellschaftliche bzw. internationale Solidarität spielen kaum eine Rolle. Im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen transformiert sich auch die Aneignung der Natur. Dimensionen von Natur, die vorher wenig interessant waren, werden nun zu (potentiell) wertvollen Ressourcen, die in Wert gesetzt und so Teil kapitalistischer Akkumulation werden sollen.

Insbesondere die genetischen Ressourcen – also die erblichen Eigenschaften von Lebewesen – werden durch die Entwicklung neuer Technologien und die Herausbildung neuer Produktions- und Konsummuster zum «Erdöl des Informationszeitalters» (World Resources Institute). Obwohl das genaue Ausmaß des kommerziellen Wertes der Biodiversität immer noch strittig ist (Ten Kate/Laird 1999), ist der Einsatz neuer technologischer Verfahren der entscheidende Hintergrund der neuen Interessen an der biologischen Vielfalt. 1

Zentral für die ökonomische wie auch die gesellschaftliche Bedeutung dieser neuen Biotechnologien ist die Gentechnologie. Diese ermöglicht es, im Agrarbereich neue Lebensformen über bislang bestehende Grenzen konventioneller Züchtung hinweg (und dies auch wesentlich schneller) zu produzieren und im Pharmasektor neue Produkte und Produktionsmethoden zu entwickeln. Dafür werden einzelne DNA-Sequenzen isoliert und auf das Erbgut anderer Organismen übertragen. Von den neuen Biotechnologien wird die Erschließung ganz neuer Produktionszweige und Märkte und letztlich die Erzielung immenser Profite erwartet. Doch bislang sind es eher die Erwartungen einer zukünftig hohen Kapitalrentabilität, die den Bereich derart attraktiv machen und die sich keineswegs erfüllen müssen.

Von den Industrien, die auf der Anwendung der life sciences im Agrar- und Pharmabereich basieren, gehen weitreichende Impulse zur Neugestaltung der Naturverhältnisse aus.2 Sie sind ihrerseits von den Entwicklungen im Bereich der Mikroelektronik abhängig und erschließen sich aktiv neue ‹natürliche Ressourcen›. Dazu dienen vor allem sog. Bioprospektierungsprojekte, bei denen biologisches Material gesammelt und dann auf seine erblichen Eigenschaften hin untersucht wird (screening). Ziel ist es, auf neue Substanzen und damit auf potentiell profitable Entdeckungen zu stoßen. Im Bereich der genetischen Ressourcen sind aus der Perspektive der dominanten Akteure zwei Aspekte zentral: Zum einen geht es um den möglichst ungehinderten Zugang zu biologischer Vielfalt. Um Zugang zu den Ressourcen zu bekommen, sind die sonst mächtigen Akteure – modernste Forschungseinrichtungen und vor allem transnational agierende High-Tech-Unternehmen – auf ‹marginalisierte› Bevölkerungsgruppen im Süden angewiesen, da ein Großteil der biologischen Vielfalt in südlichen Ländern liegt. Übrigens längst nicht alle, denn in Genbanken, Herbarien und Botanischen Gärten sind im Laufe der letzten Jahrhunderte schon einmal große Mengen an biologischem Material in nördliche Länder gebracht worden; ein Prozess, den der Soziologe Jack Kloppenburg die «ursprüngliche Akkumulation» pflanzengenetischer Ressourcen nannte. Bei der Aneignung genetischer Ressourcen spielt aber auch das ‹traditionelle› Wissen darum, wie mit den Ressourcen umgegangen wird, eine wichtige Rolle, denn es dient vielfach als ‹Filter› bei der Suche nach potentiell ökonomisch wertvollen Substanzen. Erfolg versprechender ist es daher, auf Material zurückzugreifen, dessen Wert schon in traditionellen Formen der Nutzung erkannt und ausgenutzt wird, seien es traditionell genutzte Heilpflanzen oder landwirtschaftlich genutzte Sorten. Damit gerät neben den Pflanzen auch das Wissen indigener Völker und lokaler BäuerInnen um diese traditionellen Nutzungsformen in den Blick von Bioprospektierungsprojekten.

Zum anderen ist die Sicherstellung einer möglichst exklusiven Nutzung der Forschungsergebnisse wichtig. Auf Grund der generell schwer abschätzbaren Marktbedingungen, den angeblich hohen Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Produkte und der Notwendigkeit, beim Aufbau neuer Produktionszweige und Märkte die grundlegenden Besitzverhältnisse absichern zu müssen, ist die Sicherung des Eigentums an den neuen Technologien und ihrem genetischen Material inzwischen zu einem der zentralen Interessen der Industrie geworden – von großen Konzernen bis hin zu kleinen Forschungsinstituten. Ein Patent oder Sortenschutz sichert dem Inhaber das exklusive Nutzungsrecht in der Regel über 15 bis 20 Jahre. Als Rechtfertigung für den Patentschutz werden häufig die hohen Investitionen genannt, die es später wieder zu erwirtschaften gälte, noch bevor ein Produkt Gewinn abwerfe. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation ETC Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration; vormals Rural Advancement Foundation International RAFI; www.etcgroup.org) waren im letzten Jahr drei Millionen Patentanträge allein beim US-amerikanischen Patentamt anhängig. Davon stammen die meisten aus dem Bereich Bio- und Gentechnologie. Zum Vergleich: Seit der Existenz von Patenten im 19. Jahrhundert sind in den USA insgesamt sechs Millionen Patente erlassen worden. Wie auch die Entwicklungen im Bereich der Forschung zum menschlichen Genom oder zu menschlichen Stammzellen zeigen, geht es vermehrt darum, Eigentum an den genetischen Ressourcen und damit an den natürlichen Ausgangsstoffen selbst zu deklarieren. Obwohl diese Ressourcen erst über technologische Entwicklungen als solche konstituiert werden, wird das Ausgangsmaterial der ökonomisch-technischen Verwertungsprozesse zu einem zunehmend umkämpften Gegenstand, der mit exklusiven und monopolartigen Eigentumsrechten belegt wird (vgl. mit vielen Beispielen Wullweber 2004).

Zentrales biodiversitätspolitisches Anliegen der mächtigen Akteure ist daher, Planungssicherheit (was immer auch heißt: Investitionssicherheit) zu schaffen. Während allerorten der Souveränitätsverlust des Staates beklagt oder befürwortet wird, zeigt sich im Bezug auf die Biodiversitätspolitik ein ganz anderes Bild. Weil die ‹Global Players› klare Verhältnisse benötigen, sind sie auf den Staat angewiesen, denn der nationale Staat mit seinem Gewaltmonopol kann diese allemal am besten herstellen. Auf internationaler Ebene werden andererseits die Regeln für den Umgang mit biologischen Ressourcen entwickelt. Bei Patenten und anderen Formen des Schutzes von Geistigem Eigentum wie dem Sortenschutz geht es vor allem darum, auszuhandeln, wer von den Vorteilen, die sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergeben, profitieren kann. 3

Die Nichtregierungsorganisation Genetic Resources Action International (GRAIN; www.grain.org) schätzt, dass bislang noch 80 Prozent des Saatguts in Entwicklungsländern nicht kommerziell sind, d.h. es wird nicht gekauft, sondern getauscht oder aus der letzten Ernte genommen. Damit können die gewaltigen Marktchancen für Saatgutunternehmen erahnt werden – aber auch, in wie vielen Bereichen Auseinandersetzungen um die Patentierung von Saatgut eine Rolle spielen (werden). Es handelt sich bei der ‹traditionellen› Nutzung genetischer Ressourcen eben nicht um einen kleinen Rest noch nicht ‹moderner› Verhältnisse. Es handelt sich vielmehr um eine Lebensrealität für einen großen Teil der Menschheit. Die neuen Interessen an bestimmten Ressourcen verstärken die ‹genetische Interdependenz› zwischen Nord und Süd. Dennoch erwächst daraus nicht zwingend eine neue Verhandlungsmacht der peripheren Länder, die über eine reiche biologische Vielfalt verfügen. Zum einen gibt es eine Konkurrenz zwischen den Ländern, in denen biologische Vielfalt vorkommt. In Zeiten immenser Kreditschulden vieler Länder mit großer biologischer Vielfalt und den dortigen ‹Strukturanpassungs- Maßnahmen› sind die Regierungen zur zerstörerischen Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen gezwungen (oder auch bereit) und verfolgen damit häufig Interessen, die quer zu denen auf lokaler Ebene liegen. In der allgemeinen Wahrnehmung wird das ‹Nord- Süd-Verhältnis› oft simplifiziert: hier der ausgebeutete und arme Süden, dort der ausbeutende und reiche Norden. Die Verhältnisse sind aber komplizierter, denn auch innerhalb des ‹Südens› und ‹Nordens› bestehen erhebliche Interessenunterschiede. Schon gar nicht sind Regierungen als Ausdruck der Anliegen ‹ihrer› Bevölkerung (miss-)zuverstehen. Es ist durchaus denkbar, dass in Zukunft indigene Interessen von internationalen Gentech-Lobbies verteidigt werden, um so auch im Interesse der Industrie die biologische Vielfalt zu erhalten. Hinsichtlich des Nord-Süd-Verhältnisses spricht deshalb das Third World Network von einer «neuen Art genetischen Kolonialismus».

Eine Voraussetzung für widerständige Politiken besteht darin, die jüngsten Strukturveränderungen – und ihre Widersprüche – mit in die Strategien einzubeziehen. So ist beispielsweise eine Perspektive verkürzt, die ‹die› Länder des Südens gestärkt sehen will und damit die dortigen Regierungen meint. Denn gerade auch dort haben Verschiebungen stattgefunden, die zwar in externe Zwänge wie die Auslandsverschuldung eingebettet sind, aber dennoch an interne Strukturen und Kräfteverhältnisse gebunden bleiben. Auch in den peripheren Ländern findet die Transformation des Staates hin zum neoliberalen bzw. ‹nationalen Wettbewerbsstaat› statt, der mittels Rechtsetzung, Bildungs- und Infrastrukturpolitiken, Forschungsförderung und die Zulassung von Firmenfusionen u.a. zentrale Voraussetzungen schafft, um strategische Schlüsseltechnologien und -branchen zu fördern. Nicht umsonst formulierten beispielsweise die mexikanischen Zapatistas gleich zu Beginn ihres Aufstandes im Januar 1994, dass sie die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch mexikanische und internationale Konzerne, die darin vom mexikanischen Staat unterstützt werden, nicht länger hinnähmen. Ohne staatliche Politiken als unwichtig zu erachten, sollte nicht dem Mythos aufgesessen werden, dass ‹der› Staat gegen ‹die› Ökonomie nun effektive Schutzpolitiken entwickeln könnte. In den aktuellen Widerstandskämpfen geht es nicht mehr in erster Linie um nationale Befreiung oder gesellschaftliche Veränderungen über den Staat. Die Leitlinien kritisch-emanzipativer Akteure in Nord und Süd sind heute vielmehr gemeinsame Interessen – etwa an gesunder Ernährung und allgemeiner Selbstbestimmung über Lebensverhältnisse. Es gilt Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, ohne Unterschiede zu negieren. So können Handlungsfähigkeit und Gegenmacht entwickelt werden.

Strategisch von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang etwa der Begriff der ‹Biopiraterie› (vgl. etwa www.biopiraterie. de). Er trägt dazu bei, dass kritische Akteure in der Debatte um Biodiversitätspolitiken ihren Anliegen eine größere Legitimität verleihen können. In den letzten Jahren gewinnt auch der Begriff der Aneignung an Bedeutung. Zum einen dahingehend, die dominanten Entwicklungen wie Privatisierung von gesellschaftlichem Wissen, sozialer Daseinsvorsorge oder öffentlichen Dienstleistungen sowie die hier skizzierten Prozesse als ‹Aneignung von oben› zu begreifen. Dem wird als politische Perspektive eine ‹Aneignung von unten› entgegengestellt, welche individuelles und gesellschaftliches Leben nicht einfach der Kontrolle durch Staat und Kapital überlässt, sondern für emanzipative Lebensentwürfe und kollektive Praktiken, für kollektive Güter und die Zurückdrängung des ‹Marktes in den Köpfen› steht. Das Feld der Biopolitik und hier die Fragen Geistigen Eigentums stehen im Zentrum dieser Auseinandersetzungen. ‹‹‹


1 Der Begriff Biodiversität ist nicht mit dem Begriff der Artenvielfalt gleichzusetzen, obwohl beides immer wieder synonym gebraucht wird. Die 1992 auf der Weltumwelt- und Entwicklungskonferenz (UNCED) unterzeichnete und Ende 1993 in Kraft getretene Konvention über biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD; www.biodiv.org) hat einen wesentlich weiteren Begriff: Neben der (a) Artenvielfalt geht es (b) um genetische Vielfalt sowie (c) um die Vielfalt an Habitaten und Ökosystemen.

2 Der Begriff der Lebenswissenschaften ist zum einen ein PR-Begriff der Unternehmen und Forschungsinstitute, der sich von dem der Bio- oder Naturwissenschaften abheben soll. Kritisch gewendet drückt er den Anspruch der neuen Industrien drastischer aus als die anderen Begriffe – nämlich ungleich stärker als jemals zuvor auf der Grundlage wissenschaftlichen Wissens in Leben einzugreifen und es zu gestalten.

3 Hier ist ein weiterer Aspekt angedeutet, nämlich die Auseinandersetzungen um das sog. benefit sharing, d.h. den in der CBD festgelegten «angemessenen » Vorteilsausgleich, der sich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt ergibt. Dieses Thema steht bislang sowohl auf internationaler wie auch auf nationaler Ebene im Schatten der anderen, also Zugang zu biologischer Vielfalt und Geistiges Eigentum (vgl. hierzu Brand/Görg 2003, 2. und 4. Kapitel). Literatur: Brand, Ulrich/Brunnengräber, Achim/ Schrader, Lutz/Stock, Christian/Wahl, Peter (2000): Global Governance. Alternative zur neoliberalen Globalisierung? Münster. ––– Görg, Christoph/ Brand, Ulrich (2001): The Regulation of the Market and the Transformation of the Societal Relationships with Nature. In: Capitalism, Nature, Socialism (September 2001). ––– Brand, Ulrich/Görg, Christoph (2003): Postfordistische Naturverhältnisse. Konflikte um genetische Ressourcen und die Internationalisierung des Staates. Münster. ––– Hirsch, Joachim (2001): Herrschaft, Hegemonie und politische Alternativen. Hamburg. ––– Ten Kate, Kerry/Laird, Sarah A. (1999): The Commercial Use of Biodiversity. London. ––– Wullweber, Joscha (2004): Das grüne Gold der Gene. Globale Konflikte und Biopiraterie. Münster.


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